Am 5. Mai 2014 fand für die Studenten der Hörerziehungsklassen an der Musikhochschule Stuttgart eine Aufführung des muïetischen Konzertprogramms THE RIGHTEOUS FATALE statt. Sie waren anschließend gebeten worden, ihre Eindrücke zu verschriftlichen. Zum Thema Muïesis als alternative Aufführungspraxis:
„In der heutigen Zeit ist es
aufgrund der permanenten Reizüberflutung im Alltag immer schwieriger geworden,
sich auf das Wesentliche zu besinnen. Auch in der Begegnung mit Musik kann es
so zu Schwierigkeiten kommen, wenn es darum geht, zum Kern der Musik
vorzudringen, die Musik so umfassend wie möglich zu erleben. Die von Heloise Ph. Palmer entwickelte Aufführungspraxis Muïesis setzt an diesem Punkt an und hat das Ziel, dem Zuhörer ein
außergewöhnliches Konzerterlebnis zu bieten, indem sie verschiedene Kunstformen
vereint, um den Gesamteindruck zu intensivieren und somit einen Weg zum
tieferen Verständnis der Musik bahnen möchte. Dabei geht es nicht darum, die
Musik mit anderen künstlerischen Inhalten zu überlagern. – Ganz im Gegenteil:
die Essenz der Musik soll betont und in den Vordergrund gerückt werden. Ergänzende künstlerische Inhalte können ganz unterschiedlicher Natur sein. In The
Righteous Fatale fanden sich so zum Beispiel
nicht nur Poesie und Elemente aus dem Theater – sondern auch ein Spiel von
Licht und Dunkelheit, welches die dramaturgische Gestaltung des
Konzertprogramms zusätzlich umrahmte. Dazu kommt, dass die Reihenfolge der
gespielten Werke einem Spannungsbogen folgt, der dem Verlauf eines antiken
Dramas gleicht und so zusätzlich die Empfindung für die jeweiligen Werke
steigern und ihre Wahrnehmung erleichtern soll. In Kombination mit den
ausgewählten Texten ergibt sich also ein Gesamtkunstwerk, in dem die Musik eine
Geschichte erzählt – in diesem Fall die der Klytaimestra – und somit greifbarer
wird. Insgesamt folgt Muïesis also der Idee, durch
die Einbringung verschiedener Künste ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, das den
Zuhörenden letztendlich die Musik näher bringen soll, als es die bisherige
Konzert- und Aufführungspraxis geschafft hat. Durch die Anordnung der Werke in einem
thematischen, einer Geschichte folgenden Kontext, werden die durch die Musik
ausgelösten Emotionen in einen Spannungsbogen übertragen und intensiviert. Je
nachdem, an welchem Punkt des Spannungsbogens man sich im Konzert befindet kann
ein Stück also – so war es mein Eindruck – an Intensität gewinnen. Dazu kommt,
dass der Musik durch die Verwendung von Sprache, Lauten und Text ein Zugang
geschaffen wird, der für manche Menschen im Publikum – vor allem für Zuhörer,
die wenig Erfahrung im Umgang mit Musik haben – eventuell leichter zugänglich
ist. Ein weiterer Eindruck, den ich durch den Besuch des Konzerts gewonnen habe
ist, dass der Zuhörer durch die im Konzertsaal geschaffene Atmosphäre – Licht,
Bühnenbild, Kostüm etc. – automatisch in eine besondere Stimmung versetzt wird,
die zusätzlich zur inhaltlich-thematischen Ebene dazu beiträgt, die
Aufnahmefähigkeit und das Konzerterlebnis zu steigern. Beeindruckend war außerdem, mit welcher Leichtigkeit die Epochengrenzen aufgelöst wurden - von Bedeutung war nur die Essenz der Musik und das, was sie auszudrücken vermochte. Ist man den „normalen“
Konzertbetrieb gewohnt, so ist eine muïetische Konzerterfahrung definitiv
außergewöhnlich und spannend.“
© Anna Kramer, Kontrabaß, 6. Mai 2014