2. Was macht
das Besondere muïetischer Konzerte aus?
Ich spreche in meinen Programmen von Authentizität, Liebe, von Krieg und
Schönheit, von Friedensmöglichkeit und Reflexion. Das sind keine
menschenfremden Themata! Sie klingen im Gegenteil in jedem von uns. Da Hören am
Ende nur durch Hören erlernbar ist, muß man dem überstimulierten Menschen von
heute die Hand reichen, ihn einladen wieder genauer hören zu wollen. Sonst
bleibt es bei „Nach dem Konzert ist vor dem Konzert“. Wenn ich ihn mit Themen
aus seinem, wo nicht Alltag, so doch Leben konfrontiere, hört er wacher zu,
nimmt mehr wahr, von der Musik, die ihm präsentiert wird und in der Folge von
allem, was ihm fortan begegnen wird. Das heißt mitnichten, daß die aufgeführten
Werke instrumentalisiert werden. Sie bleiben neutral. Der
Musik werden keine Krücken angelegt. Sie steht für sich allein, ist, sofern
gut, ein perfektes Gebilde, das ohne Einführung auch ohne Hinzufügung anderer
Künste auskommen kann. Darüber hinaus kann sich ein musikalisches Werk
vollkommen selbständig mitteilen und das jeweils Immanente transportieren, ohne
daß es einführende Worte oder eine hinweisende Grundstimmung braucht.
Allerdings betrachten wir hier einen Idealfall, den eingeweihten Hörer. Diesem
braucht man (vielleicht) keine Kontexte zu geben. (Allerdings schadeten sie ihm
auch nicht.) Aber, ich frage Sie ehrlich: Gibt es diesen Hörer? Ich halte mich
selbst für sehr differenziert wahrnehmend und verfüge wohl über einiges
an Vorbildung. Dennoch entgeht mir im Konzert viel. Ich höre vielleicht mehr und
intensiver als mein an musikalischer Vorbildung ärmerer Nachbar, nehme ich aber
tatsächlich bereits alles Mögliche wahr oder entgeht mir nicht auch ein großes
Teil?
Zurück zum Punkt: Es ist also der Rahmen, in dem die Werke vorgetragen werden,
der sich dem Zuhörer annähert, damit er sich der Musik, vertraut oder
unbekannt, annähern kann.
Leider ist dies kein allzu leichtes Unterfangen, wie ich bald feststellen
mußte: Die klassische Konzertkultur, wie sie sich heute darstellt, bewegt sich
leider zu oft zwischen Unterhaltung auf der einen und Belehrung auf der anderen
Seite. Der eine besucht das Konzert, um Erholung, Entspannung und vielleicht
Vergnügen zu finden. Entzücken erleben über die jüngsten Entdeckungen auf dem
Markt der „wunder-baren“ aufgezogenen Instrumentalvirtuosen. Der andere sucht
allzu verkopfte Nischenkonzerte auf, die jedoch meistens den Nimbus haben, daß
sie wenig vorgebildete Zuhörer von vornherein ausschließen. Stattdessen ziehen
sie die selbst ernannte „Elite“ an, die aber doch immer nur in ihrem Kreis
Partner für Austausch auf gleicher Ebene findet und ergo abgekapselt bleibt.
Dies ist vor allem, LEIDER, in Konzerten mit zeitgenössischer Musik der Fall.
Ich porträtiere hier einen Typus, der mir zu 95 % begegnet ist. Die häufig einschüchternd
wirkende Atmosphäre solcher Konzerte schreckt mich ebenso ab, obwohl ich den
Neuheiten der Musik unserer Zeit überaus offen gegenüberstehe. Ich habe
jedenfalls selten das Gefühl erlebt, als Zuhörer willkommen zu sein, sondern
kam mir stattdessen vielmehr als notwendiges Übel vor: es muß eben ein Publikum
geben, was es fühlt, ist aber zweitrangig, wo nicht gar überflüssig. Hauptsache
ist, es versteht, daß dies die neue Art ist Musik zu machen, ob es ihn berührt
oder nicht.
Nun also, das klassische Konzerterlebnis ist offenbar nicht dazu ausgerichtet,
den Menschen mit tief greifenden Themen zu konfrontieren. Wenn man nach solchen
sucht, geht man in die Kunstgalerie, in die Lesung, ins Theater. Sogar das Kino
hat in diesem Punkte einen höheren Stellenwert inne. Und leider, so muß ich
sagen, tun die wenigsten Künstler auch etwas, um dieses Übel zu tilgen. Da geht
es häufig einzig um Selbstdarstellung, um virtuose Höchstleistungen als
Nonplusultra eines gelungenen Konzertabends – das zeigt sich anhand der
gewählten Werke für die Programmzusammenstellung als auch an der ganzen Art und
Weise des Auftretens.
Indes, wieviel bleibt davon im Zuhörer nachklingend? Und zwar über die erste Phase des
Verzücktseins hinaus? Wie tief reichen solche Konzerterlebnisse? Was bewirken
sie, wie verändern sie ihre Besucher? Es gibt einen Markt für diese Art des
Konzertierens. Der darf meinetwegen bestehen bleiben, offenbar gibt es auch
etliche Menschen, denen solche Erlebnisse genügen. Vielleicht aber sind viele
dieser Menschen gar nicht so genügsam und sehnen sich eigentlich seit langem
nach mehr Tiefe und einem stärkeren Gefühl des Gefangengenommenwerdens in die
umfassenden Dimensionen nachhaltigeren Wahrnehmens und höheren Fühlens. Weil
ich davon überzeugt bin, daß dem so ist, stelle ich Muïesis zur Alternative.
Ich weiß, daß inzwischen einige Besucher meiner Konzerte Hunderte von km Reise
auf sich nehmen, um das nächste muïetische Programm erleben zu können. [...]