Wednesday, 7 May 2014

Exzerpt aus der Vorlesung MUïESIS - eine zeitgemäße Aufführungspraxis: 2. Punkt

2. Was macht das Besondere muïetischer Konzerte aus?

Muïetische Kontexte erleichtern zum einen den Zugang zu bisher unbekannten Werken, zum anderen brechen sie mit eingefahrenen Hörgewohnheiten und erfrischen vielleicht zu sehr bekannte Werke, indem sie diese in einem neuen Zusammenhang erlebbar machen. Eine solche Kontextualisierung ist, zumindest in der von mir angebotenen Form, neu. Der Aufbau von Konzertprogrammen folgte zwar bisher einer gewissen Logik, oder konnte das tun, jedoch entzog diese sich dem emotionalen Zugang des Zuhörers. Diesen erachte ich als wesentlichen Bestandteil beim Musikhören. Es waren entweder enzyklopädische oder chronologische Rahmen geschaffen (à la „Alle Cellosuiten Bachs“, „Von Bach bis Bartok“ etc.) oder man hatte sich auf einen Komponisten(kreis) beschränkt, also eine Zeitepoche herausgegriffen und damit zwar den Zuhörer nicht mit zu vielen verschiedenen Stilen überfordert, ihn jedoch gleichzeitig nur in einer Richtung gefördert.

Ich spreche in meinen Programmen von Authentizität, Liebe, von Krieg und Schönheit, von Friedensmöglichkeit und Reflexion. Das sind keine menschenfremden Themata! Sie klingen im Gegenteil in jedem von uns. Da Hören am Ende nur durch Hören erlernbar ist, muß man dem überstimulierten Menschen von heute die Hand reichen, ihn einladen wieder genauer hören zu wollen. Sonst bleibt es bei „Nach dem Konzert ist vor dem Konzert“. Wenn ich ihn mit Themen aus seinem, wo nicht Alltag, so doch Leben konfrontiere, hört er wacher zu, nimmt mehr wahr, von der Musik, die ihm präsentiert wird und in der Folge von allem, was ihm fortan begegnen wird. Das heißt mitnichten, daß die aufgeführten Werke instrumentalisiert werden. Sie bleiben neutral. Der Musik werden keine Krücken angelegt. Sie steht für sich allein, ist, sofern gut, ein perfektes Gebilde, das ohne Einführung auch ohne Hinzufügung anderer Künste auskommen kann. Darüber hinaus kann sich ein musikalisches Werk vollkommen selbständig mitteilen und das jeweils Immanente transportieren, ohne daß es einführende Worte oder eine hinweisende Grundstimmung braucht. 

Allerdings betrachten wir hier einen Idealfall, den eingeweihten Hörer. Diesem braucht man (vielleicht) keine Kontexte zu geben. (Allerdings schadeten sie ihm auch nicht.) Aber, ich frage Sie ehrlich: Gibt es diesen Hörer? Ich halte mich selbst für sehr differenziert wahrnehmend und verfüge wohl über einiges an Vorbildung. Dennoch entgeht mir im Konzert viel. Ich höre vielleicht mehr und intensiver als mein an musikalischer Vorbildung ärmerer Nachbar, nehme ich aber tatsächlich bereits alles Mögliche wahr oder entgeht mir nicht auch ein großes Teil?

Zurück zum Punkt: Es ist also der Rahmen, in dem die Werke vorgetragen werden, der sich dem Zuhörer annähert, damit er sich der Musik, vertraut oder unbekannt, annähern kann.
Leider ist dies kein allzu leichtes Unterfangen, wie ich bald feststellen mußte: Die klassische Konzertkultur, wie sie sich heute darstellt, bewegt sich leider zu oft zwischen Unterhaltung auf der einen und Belehrung auf der anderen Seite. Der eine besucht das Konzert, um Erholung, Entspannung und vielleicht Vergnügen zu finden. Entzücken erleben über die jüngsten Entdeckungen auf dem Markt der „wunder-baren“ aufgezogenen Instrumentalvirtuosen. Der andere sucht allzu verkopfte Nischenkonzerte auf, die jedoch meistens den Nimbus haben, daß sie wenig vorgebildete Zuhörer von vornherein ausschließen. Stattdessen ziehen sie die selbst ernannte „Elite“ an, die aber doch immer nur in ihrem Kreis Partner für Austausch auf gleicher Ebene findet und ergo abgekapselt bleibt. Dies ist vor allem, LEIDER, in Konzerten mit zeitgenössischer Musik der Fall. Ich porträtiere hier einen Typus, der mir zu 95 % begegnet ist. Die häufig einschüchternd wirkende Atmosphäre solcher Konzerte schreckt mich ebenso ab, obwohl ich den Neuheiten der Musik unserer Zeit überaus offen gegenüberstehe. Ich habe jedenfalls selten das Gefühl erlebt, als Zuhörer willkommen zu sein, sondern kam mir stattdessen vielmehr als notwendiges Übel vor: es muß eben ein Publikum geben, was es fühlt, ist aber zweitrangig, wo nicht gar überflüssig. Hauptsache ist, es versteht, daß dies die neue Art ist Musik zu machen, ob es ihn berührt oder nicht.

Nun also, das klassische Konzerterlebnis ist offenbar nicht dazu ausgerichtet, den Menschen mit tief greifenden Themen zu konfrontieren. Wenn man nach solchen sucht, geht man in die Kunstgalerie, in die Lesung, ins Theater. Sogar das Kino hat in diesem Punkte einen höheren Stellenwert inne. Und leider, so muß ich sagen, tun die wenigsten Künstler auch etwas, um dieses Übel zu tilgen. Da geht es häufig einzig um Selbstdarstellung, um virtuose Höchstleistungen als Nonplusultra eines gelungenen Konzertabends – das zeigt sich anhand der gewählten Werke für die Programmzusammenstellung als auch an der ganzen Art und Weise des Auftretens.

Indes, wieviel bleibt davon im Zuhörer nachklingend? Und zwar über die erste Phase des Verzücktseins hinaus? Wie tief reichen solche Konzerterlebnisse? Was bewirken sie, wie verändern sie ihre Besucher? Es gibt einen Markt für diese Art des Konzertierens. Der darf meinetwegen bestehen bleiben, offenbar gibt es auch etliche Menschen, denen solche Erlebnisse genügen. Vielleicht aber sind viele dieser Menschen gar nicht so genügsam und sehnen sich eigentlich seit langem nach mehr Tiefe und einem stärkeren Gefühl des Gefangengenommenwerdens in die umfassenden Dimensionen nachhaltigeren Wahrnehmens und höheren Fühlens. Weil ich davon überzeugt bin, daß dem so ist, stelle ich Muïesis zur Alternative. Ich weiß, daß inzwischen einige Besucher meiner Konzerte Hunderte von km Reise auf sich nehmen, um das nächste muïetische Programm erleben zu können. [...]