Am 5. Mai 2014 fand für die Studenten der Hörerziehungsklassen an der Musikhochschule in Stuttgart eine Aufführung des muïetischen Bühnenprogramms THE RIGHTEOUS FATALE statt. Im Anschluß daran traf sich Lukas Weerth, der diese Aufführung erlebt und sich etwas intensiver mit dem Thema Muïesis auseinandergesetzt hatte, mit Heloise Ph. Palmer für ein Interview:
Muïesis – Aufführungspraxis heute
Lukas Weerth:
Sie touren nicht
wie viele andere Musiker mit einem einzigen Programm pro Saison, sondern
stellen verschiedene Programme, und innerhalb sehr kurzer Zeitrahmen, vor. Das
setzt ein breites Repertoire voraus. Wie kommt es zu diesem, welche Kriterien
sind für die Zusammenstellung Ihrer Programme ausschlaggebend?
Heloise Ph. Palmer:
Für die Kreation eines neuen Programms ist mir wichtig, daß ich für Ausgewogenheit in den musikalischen Stilen und Tonsprachen sorge. Nicht nur ermöglicht dies eine länger lebendige und achtsame Wahrnehmung vonseiten des Publikums, es ermöglicht auch mir selbst eine größere Wachheit – es ist einer Reise vergleichbar, die verschiedene Länder miteinander kombiniert. Man gewinnt Überblick über die Reichtümer der Welt und eine gewisse Weitsicht, die bei der exklusiven Vertiefung in eine Einzelheit ausbliebe. Mehr noch, dem Zuhörer, der sich nicht jeden Tag intensiv mit einer neuen musikalischen Strömung beschäftigen kann, wird dadurch auch die Gelegenheit geboten, sich Bezüge untereinander, Ähnlichkeiten zwischen zunächst verschieden anmutenden Stilen und Entwicklungen über die Zeiten hinweg zu erschließen. Ich lege außerdem großen Wert auf Aktualität. Nur von der Tradition gemästete Kompositionen und Stile vorzutragen, ohne auch zu zeigen, welche Entwicklungen diese anstießen – indem ich zeitgenössische Klänge präsentiere – mutet mich sehr rückschrittlich an. Und ist auch kulturgeschichtlich völlig paradox.
Für die Kreation eines neuen Programms ist mir wichtig, daß ich für Ausgewogenheit in den musikalischen Stilen und Tonsprachen sorge. Nicht nur ermöglicht dies eine länger lebendige und achtsame Wahrnehmung vonseiten des Publikums, es ermöglicht auch mir selbst eine größere Wachheit – es ist einer Reise vergleichbar, die verschiedene Länder miteinander kombiniert. Man gewinnt Überblick über die Reichtümer der Welt und eine gewisse Weitsicht, die bei der exklusiven Vertiefung in eine Einzelheit ausbliebe. Mehr noch, dem Zuhörer, der sich nicht jeden Tag intensiv mit einer neuen musikalischen Strömung beschäftigen kann, wird dadurch auch die Gelegenheit geboten, sich Bezüge untereinander, Ähnlichkeiten zwischen zunächst verschieden anmutenden Stilen und Entwicklungen über die Zeiten hinweg zu erschließen. Ich lege außerdem großen Wert auf Aktualität. Nur von der Tradition gemästete Kompositionen und Stile vorzutragen, ohne auch zu zeigen, welche Entwicklungen diese anstießen – indem ich zeitgenössische Klänge präsentiere – mutet mich sehr rückschrittlich an. Und ist auch kulturgeschichtlich völlig paradox.
Was die Themen meiner Bühnenprogramme
angeht, so wähle ich danach aus, was mir persönlich am wertvollsten oder
notwendigsten erscheint, daß es kommuniziert werde. Ich nehme meine Umwelt sehr
bewußt und achtsam war und führe eine eher kontemplative Lebensweise, die mir
Reflexion und eine fundierte Auseinanderse-tzung mit mir wichtig erscheinenden
Themen oder Fragestellungen ermöglicht. Diese kann ich dann in meinen
Programmen verarbeiten, um wiederum meine Zuhörer zum Nachdenken anzuregen.
Dieser Ansatz opponiert gegen den von mir vielfach empfundenen Ausschluß klassischer Musikerlebnisse aus der Atmosphäre einer tiefgehenden und das eigene Sein verändernden Erfahrung, wie wir sie z.B. ohne zu zögern mit einem Theaterbesuch verbinden würden.
Dieser Ansatz opponiert gegen den von mir vielfach empfundenen Ausschluß klassischer Musikerlebnisse aus der Atmosphäre einer tiefgehenden und das eigene Sein verändernden Erfahrung, wie wir sie z.B. ohne zu zögern mit einem Theaterbesuch verbinden würden.
LW: Konzertveranstalter
versuchen, vor allem auch moderne oder aktuelle Klänge oder Ästhetik dem
Publikum leichter zugänglich zu machen, indem sie in das abendliche Programm
Einführungen vortragen. Kann Muïesis als eine Symbiose von Einführung und
Konzert angesehen werden? ODER: Macht Muïesis eine Einführung in das Konzert
vielmehr überflüssig?
HPP:
Meiner Ansicht nach sind solcherlei Einführungen eher hinderlich. Mit theoretischen oder biographischen Einzelheiten und Erläuterungen soll der Zugang zu den entsprechenden Werken erleichtert werden – dabei bleibt das Musikwahrnehmen doch immer nur durch Hören derselben möglich. Was zieht also ein solches Gerüst - noch dazu in fremder Kommunikationsform, dem Wort, präsentiert - anderes nach sich, als daß sich die schließlich empfangene Musik durch das zuvor „Geimpfte“ adäquat einpasse? Sie wird in das Korsett gepresst, das ein Mensch exklusiv für sie vorgefertigt hat. Aber von welchem Maß an Objektivität vermögen mir noch zu sprechen, wenn ein einzelner für viele und aberviele entscheidet? Denn, versuchen Sie es bitte, man wird als Empfänger der sich anschließenden Klänge stets versucht sein, nur das zuvor Erklärte wiedererkennen zu wollen, befindet sich also in völliger Abhängigkeit zu dem Erläuterten respektive zu dem, welcher dieselben aufgesetzt hat. (Denken Sie jetzt bitte nicht an einen rosa Elefanten!) Sollten mir diese Hinweise beim Hören schließlich doch entgehen, weil ich entweder den Einführungen nicht ganz folgen konnte, oder aber für einen kurzen Moment unaufmerksam war – oder, was hier vielleicht angemessener „überaufmerksam“ heißen sollte, stets gebannt, nichts zu verpassen – kurz, wenn mir etwas nicht einleuchtet wie es zuvor gepredigt worden war, steigt doch nichts anderes in mir auf als das Gefühl größter Unzulänglichkeit.
HPP:
Meiner Ansicht nach sind solcherlei Einführungen eher hinderlich. Mit theoretischen oder biographischen Einzelheiten und Erläuterungen soll der Zugang zu den entsprechenden Werken erleichtert werden – dabei bleibt das Musikwahrnehmen doch immer nur durch Hören derselben möglich. Was zieht also ein solches Gerüst - noch dazu in fremder Kommunikationsform, dem Wort, präsentiert - anderes nach sich, als daß sich die schließlich empfangene Musik durch das zuvor „Geimpfte“ adäquat einpasse? Sie wird in das Korsett gepresst, das ein Mensch exklusiv für sie vorgefertigt hat. Aber von welchem Maß an Objektivität vermögen mir noch zu sprechen, wenn ein einzelner für viele und aberviele entscheidet? Denn, versuchen Sie es bitte, man wird als Empfänger der sich anschließenden Klänge stets versucht sein, nur das zuvor Erklärte wiedererkennen zu wollen, befindet sich also in völliger Abhängigkeit zu dem Erläuterten respektive zu dem, welcher dieselben aufgesetzt hat. (Denken Sie jetzt bitte nicht an einen rosa Elefanten!) Sollten mir diese Hinweise beim Hören schließlich doch entgehen, weil ich entweder den Einführungen nicht ganz folgen konnte, oder aber für einen kurzen Moment unaufmerksam war – oder, was hier vielleicht angemessener „überaufmerksam“ heißen sollte, stets gebannt, nichts zu verpassen – kurz, wenn mir etwas nicht einleuchtet wie es zuvor gepredigt worden war, steigt doch nichts anderes in mir auf als das Gefühl größter Unzulänglichkeit.
Wie lange, meinen Sie, werde ich mir die Freude an klassischen Musikerlebnissen, damit verbunden den Wunsch nach reger Wiederholung, unter solchen Bedingungen bewahren können?
Muïesis schreibt nichts vor. In muïetischen Programmen werden die Werke präsentiert wie sie sind. Der Rahmen, in dem sie sich entfalten, ist ein anderer: Durch übergeordnete Themenschwerpunkte, mit denen jeder Konzertbesucher etwas anzufangen weiß, weil sie lebensnah sind und ihn auf emotionaler Ebene berühren, werden die ausgewählten Musikwerke noch immer direkt zugänglich gemacht, nicht indirekt in der Weise, daß allerhand Wissenswertes über sie erklärt und eingetrichtert wird. Muïesis ermöglicht einen unmittelbaren Zugang und macht somit jede Einführung redundant.
LW: Sie sprechen davon, dem
Hörer / der Hörerin über Muïesis gleichsam „die Hand reichen“ zu können. Sehen
Sie in Muïesis auch eine Art pädagogischen Auftrag?
HPP:
Nein, das ist gerade nicht, was zu erreichen ich beabsichtige. Ich möchte den Zuhörern, die sich trauen klassischen Konzerten beizuwohnen, eine intensivere Wahrnehmung ermöglichen. Intensiver, weil sie in verschiedener Weise stimuliert werden, geistig, emotional, vielleicht spirituell. Intensiver auch, weil sie das unmittelbare Musikerlebnis geboten bekommen, auch wenn sie über keinerlei Hintergrundwissen das erklingende Werk betreffend verfügen. Ich versuche mit Muïesis, den Menschen ein Erleben zu schenken, das sich nicht bereits auf dem Nachhauseweg vom Konzertsaal verliert, sondern das ihnen vielmehr Bereicherung für die nächsten Tage oder gar länger beschert. Wenn mir das gelingt, werden sie in zwingender Folge die Musik wieder hören wollen, sich also bemühen, die entsprechenden Kompositionen in ihr Leben zu integrieren und auch neue kennenzulernen. Und sei es nur eine kürzer weilende Bereicherung, die der Besucher eines muïetischen Konzertes erfuhr, aber auf emotionaler Ebene – also nicht ein flüchtiger Affekt wie Entzücken oder Staunen – sein Bewußtsein wäre schon erweitert worden.
Jede Form der Belehrung liegt mir fern. Besonders auf der Bühne, dem meiner Auffassung nach letzten Ort, an dem belehrt werden sollte. Auch das Theater belehrt uns ja nicht im eigentlichen Sinne, sondern stimuliert vielmehr das eigene Denken und Hinterfragen. Was Muïesis an pädagogischen Qualitäten innewohnt, könnte man vielleicht am ehesten als „Möglichkeit“ oder „Entgegenkommen“ beschreiben. Ich biete etwas an, diktiere niemals! Dies, um gewissen traurigen Entwicklungen in der Rezeption klassischer Musik entgegenzuwirken.
HPP:
Nein, das ist gerade nicht, was zu erreichen ich beabsichtige. Ich möchte den Zuhörern, die sich trauen klassischen Konzerten beizuwohnen, eine intensivere Wahrnehmung ermöglichen. Intensiver, weil sie in verschiedener Weise stimuliert werden, geistig, emotional, vielleicht spirituell. Intensiver auch, weil sie das unmittelbare Musikerlebnis geboten bekommen, auch wenn sie über keinerlei Hintergrundwissen das erklingende Werk betreffend verfügen. Ich versuche mit Muïesis, den Menschen ein Erleben zu schenken, das sich nicht bereits auf dem Nachhauseweg vom Konzertsaal verliert, sondern das ihnen vielmehr Bereicherung für die nächsten Tage oder gar länger beschert. Wenn mir das gelingt, werden sie in zwingender Folge die Musik wieder hören wollen, sich also bemühen, die entsprechenden Kompositionen in ihr Leben zu integrieren und auch neue kennenzulernen. Und sei es nur eine kürzer weilende Bereicherung, die der Besucher eines muïetischen Konzertes erfuhr, aber auf emotionaler Ebene – also nicht ein flüchtiger Affekt wie Entzücken oder Staunen – sein Bewußtsein wäre schon erweitert worden.
Jede Form der Belehrung liegt mir fern. Besonders auf der Bühne, dem meiner Auffassung nach letzten Ort, an dem belehrt werden sollte. Auch das Theater belehrt uns ja nicht im eigentlichen Sinne, sondern stimuliert vielmehr das eigene Denken und Hinterfragen. Was Muïesis an pädagogischen Qualitäten innewohnt, könnte man vielleicht am ehesten als „Möglichkeit“ oder „Entgegenkommen“ beschreiben. Ich biete etwas an, diktiere niemals! Dies, um gewissen traurigen Entwicklungen in der Rezeption klassischer Musik entgegenzuwirken.
LW: Sie stellen fest, dass sich
die Entwicklung der Konzertpraktiken seit der prägenden Klassik weniger groß
verändert hat als zuvor. Kann man Muïesis als Fortsetzung der Weiterentwicklung
sehen, bzw. welchen Stellenwert kann Muïesis in der Zukunft erreichen?
HPP:
Ich möchte nicht von einer Weiterentwicklung sprechen. Ich habe mich sowohl als ausübende Musikerin als auch als Konzertbesucherin gewissen Dissonanzen ausgesetzt gefühlt, die mich dazu brachten, die bestehende Aufführungspraxis zu hinterfragen. Muïesis ist meine Antwort und ein Vorschlag zur Überwindung einiger Hindernisse. Ich behaupte mitnichten, daß es den einzigen Ausweg darstellt, weshalb ich auch nicht gern verabsolutierte. Ihre Frage kann ich daher nur zum Teil beantworten. Spekulieren über den Erfolg von Muïesis und wie ein solcher aussehen sollte, lehne ich ab. Es wäre schön, ließen sich einige Musikmachende anregen, eigene Versuche zu wagen, mit diesen Mißständen umzugehen – auch deshalb habe ich an der Musikhochschule konzertiert, bzw. stehe Ihnen heute Antwort, als dem Ort, an dem die nächste Generation Musiker nachwächst. Die Gegenwart bezeugt allerdings ein wachsendes Interesse seitens der Besucher muïetischer Bühnenpro-gramme an neuen Wegen und Modi in punkto Aufführung.
HPP:
Ich möchte nicht von einer Weiterentwicklung sprechen. Ich habe mich sowohl als ausübende Musikerin als auch als Konzertbesucherin gewissen Dissonanzen ausgesetzt gefühlt, die mich dazu brachten, die bestehende Aufführungspraxis zu hinterfragen. Muïesis ist meine Antwort und ein Vorschlag zur Überwindung einiger Hindernisse. Ich behaupte mitnichten, daß es den einzigen Ausweg darstellt, weshalb ich auch nicht gern verabsolutierte. Ihre Frage kann ich daher nur zum Teil beantworten. Spekulieren über den Erfolg von Muïesis und wie ein solcher aussehen sollte, lehne ich ab. Es wäre schön, ließen sich einige Musikmachende anregen, eigene Versuche zu wagen, mit diesen Mißständen umzugehen – auch deshalb habe ich an der Musikhochschule konzertiert, bzw. stehe Ihnen heute Antwort, als dem Ort, an dem die nächste Generation Musiker nachwächst. Die Gegenwart bezeugt allerdings ein wachsendes Interesse seitens der Besucher muïetischer Bühnenpro-gramme an neuen Wegen und Modi in punkto Aufführung.
LW: Die Themen Ihrer
Konzertreihe “Gespinstegarten” obliegen einer umfassend intellektuellen,
höchst kreativen und außermusikalischen Kontextualisierung. Nun, da Sie in der
Musikhochschule Stuttgart konzertieren, reizen Sie sicherlich einige Studenten,
sich von Muïesis als Konzertgestaltung inspirieren zu lassen. Was braucht ein
junger Musiker für seine eigene muïetische Programmkreation?
HPP:
Zuallererst Leidenschaft für die Musik. Und damit meine ich authentische Leidenschaft! - Weiterhin bedarf es eines über exhibitionistisches Virtuosentum und Selbstdarstellung hinaus reichenden Respekts gegenüber dieser Kunst. Wo es mir einzig darum geht, meine technischen Fertigkeiten präsentieren zu können und mich dadurch als Wunder oder „teuflisch“ auszuzeichnen, werde ich beim Empfänger auch stets nur Entzücken und Erstaunen auslösen, niemals aber unersetzlich für sein Leben werden. Wo ein Mensch durch Musik im Innern berührt wird, wird er ohne diese nicht mehr auskommen wollen. Das geht freilich über die eigene Person hinaus: Hier geht es wieder um die Musik und nicht länger um den Ausführenden.
Ein Musikstudent sollte vom Wunsch getrieben sein, alles wissen zu wollen, was es über das Werk, welches er sich erarbeitet, welchem er sich annähert, zu wissen gibt. Einschließlich der Hintergrundinformationen über dessen Entstehungszeitpunkt, in geschichtlicher, politischer wie kultureller Hinsicht.
Auch, und damit setze ich meinen zweiten Punkt fort, sollte ein Musikstudent das Hören wiedererlernen. Das Wahrnehmen, als wäre es immer das erste Mal, auch wenn man das Werk in- und auswendig kennt. Wiedergabe des zuvor hundertfach Geprobten bleibt Reproduktion. Ein Musizieren, das sich über das Hören etabliert, wird zur Kreation. Und dieses Hören endet übrigens keineswegs mit dem Verlassen des Instruments, sondern beginnt vielmehr erst: Es beinhaltet ein Hören dessen, was um mich geschieht. Ein Wahrnehmen der Themen, die relevant genug sind, daß man sie kommuniziere. Wieder und wieder. Immerhin ist auch der Musiker eine in der Öffentlichkeit wirkende Person, hat als solche ein nicht geringes Maß an Verantwor-tung inne. Er darf sich also durchaus über Themen mitteilen oder Fragestellungen anstoßen, die über das rein Musikalische eines Werkes hinausreichen.
Neben der Musik darf man jedoch auch die anderen Künste nicht vergessen. Sie haben es immer wieder geschafft, Musikschaffende zu beeinflussen, zu inspirieren. Und vice versa galt die Musik der Sprache, der visuellen Kunst, dem Tanz etc. als bereichernde Kraft. Man sollte sich also auch in diesen Künsten auf dem Laufenden halten und nachvollziehen können, was sich warum wie entwickelt (hat).
Zu guter Letzt darf natürlich Phantasie nicht fehlen, die wird ohnehin angeregt werden, sobald man beginnt, sich die Welt hörend zu erschließen und achtsam-behutsam wahrzunehmen. Paaren sollte sie sich mit der Bereitschaft Neues zu wagen, selbst wenn es zunächst nur Antagonisten und Opposition als Antwort gibt, und: selbst wenn dies auf den eigenen Hauptfachlehrer zutrifft. Der weiß übrigens auch nicht alles. Und kann sich leider gerade in künstlerischen, eigenständig schöpferischen Fragen sehr häufig als Bremse oder unüberwindliche Wand entpuppen. Dem muß man sich gewachsen zeigen und es als erste Bewährungsprobe sehen, vor der man die eigenen Ideen behaupten und beweisen muß. Man kann ohnehin nur durch Probieren lernen.
HPP:
Zuallererst Leidenschaft für die Musik. Und damit meine ich authentische Leidenschaft! - Weiterhin bedarf es eines über exhibitionistisches Virtuosentum und Selbstdarstellung hinaus reichenden Respekts gegenüber dieser Kunst. Wo es mir einzig darum geht, meine technischen Fertigkeiten präsentieren zu können und mich dadurch als Wunder oder „teuflisch“ auszuzeichnen, werde ich beim Empfänger auch stets nur Entzücken und Erstaunen auslösen, niemals aber unersetzlich für sein Leben werden. Wo ein Mensch durch Musik im Innern berührt wird, wird er ohne diese nicht mehr auskommen wollen. Das geht freilich über die eigene Person hinaus: Hier geht es wieder um die Musik und nicht länger um den Ausführenden.
Ein Musikstudent sollte vom Wunsch getrieben sein, alles wissen zu wollen, was es über das Werk, welches er sich erarbeitet, welchem er sich annähert, zu wissen gibt. Einschließlich der Hintergrundinformationen über dessen Entstehungszeitpunkt, in geschichtlicher, politischer wie kultureller Hinsicht.
Auch, und damit setze ich meinen zweiten Punkt fort, sollte ein Musikstudent das Hören wiedererlernen. Das Wahrnehmen, als wäre es immer das erste Mal, auch wenn man das Werk in- und auswendig kennt. Wiedergabe des zuvor hundertfach Geprobten bleibt Reproduktion. Ein Musizieren, das sich über das Hören etabliert, wird zur Kreation. Und dieses Hören endet übrigens keineswegs mit dem Verlassen des Instruments, sondern beginnt vielmehr erst: Es beinhaltet ein Hören dessen, was um mich geschieht. Ein Wahrnehmen der Themen, die relevant genug sind, daß man sie kommuniziere. Wieder und wieder. Immerhin ist auch der Musiker eine in der Öffentlichkeit wirkende Person, hat als solche ein nicht geringes Maß an Verantwor-tung inne. Er darf sich also durchaus über Themen mitteilen oder Fragestellungen anstoßen, die über das rein Musikalische eines Werkes hinausreichen.
Neben der Musik darf man jedoch auch die anderen Künste nicht vergessen. Sie haben es immer wieder geschafft, Musikschaffende zu beeinflussen, zu inspirieren. Und vice versa galt die Musik der Sprache, der visuellen Kunst, dem Tanz etc. als bereichernde Kraft. Man sollte sich also auch in diesen Künsten auf dem Laufenden halten und nachvollziehen können, was sich warum wie entwickelt (hat).
Zu guter Letzt darf natürlich Phantasie nicht fehlen, die wird ohnehin angeregt werden, sobald man beginnt, sich die Welt hörend zu erschließen und achtsam-behutsam wahrzunehmen. Paaren sollte sie sich mit der Bereitschaft Neues zu wagen, selbst wenn es zunächst nur Antagonisten und Opposition als Antwort gibt, und: selbst wenn dies auf den eigenen Hauptfachlehrer zutrifft. Der weiß übrigens auch nicht alles. Und kann sich leider gerade in künstlerischen, eigenständig schöpferischen Fragen sehr häufig als Bremse oder unüberwindliche Wand entpuppen. Dem muß man sich gewachsen zeigen und es als erste Bewährungsprobe sehen, vor der man die eigenen Ideen behaupten und beweisen muß. Man kann ohnehin nur durch Probieren lernen.
LW: In Bezug auf Ihren
unübersehbaren Untertitel „in statu nascendi“. Was möchten Sie damit
ausdrücken?
HPP:
in statu nascendi ist für mich von zweierlei Bedeutung. Zunächst entsteht Musik als Zeitkunst stets neu, anders als Skulpturen und Bilder, anders als Wort – der musikalische Aspekt einer Rezitation stellt eine geringfügige Ausnahme, oder eine Zwischenform dar. Da sich Musik also jeden Augenblick neu gebiert und ich als Musiker mich mit ihr – denn nicht nur helfe ich gebären, ich definiere mich ja nur durch dieses – bin ich für diesen Augenblick verantwortlich, beide Seiten naszieren unaufhörlich. Ich identifiziere mich sehr stark mit dieser Wesensart der Musik.
So stark, daß ich mich zweitens nicht gern etikettieren und auf eine Tätigkeit meines Lebens beschränken lasse. Es stört mich persönlich sehr, daß man sich heutigentags über seine Titel oder Berufsbezeichnungen definieren und präsentieren muß. Da zählt nicht mehr die Person, sondern die Arbeitsstelle sagt wer ich bin. Wo es eine solche nicht gibt, werden stolz welche erfunden: „Ich bin Hausfrau und Mutter!“ Das sind keine Berufe und es wäre tragisch, sollten sie jemals zu welchen werden. Das sind Leidenschaften und Lebenswege, die man wählte. Weder besser noch schlechter als der Lebensweg des Karrieresuchenden. Derlei Aussagen zeigen aber deutlich, daß man sich in der Verlegenheit fühlt, mit Etiketten auftrumpfen zu müssen, um den anderen, Berufstätigen, nicht nachzustehen. Ich finde solche Entwicklung äußerst bedenklich und steige bewußt aus, indem ich keinen Beruf auf meine Visitenkarten setze, seien dies meine homepage oder meine Programmhefte.
in statu nascendi ist für mich von zweierlei Bedeutung. Zunächst entsteht Musik als Zeitkunst stets neu, anders als Skulpturen und Bilder, anders als Wort – der musikalische Aspekt einer Rezitation stellt eine geringfügige Ausnahme, oder eine Zwischenform dar. Da sich Musik also jeden Augenblick neu gebiert und ich als Musiker mich mit ihr – denn nicht nur helfe ich gebären, ich definiere mich ja nur durch dieses – bin ich für diesen Augenblick verantwortlich, beide Seiten naszieren unaufhörlich. Ich identifiziere mich sehr stark mit dieser Wesensart der Musik.
So stark, daß ich mich zweitens nicht gern etikettieren und auf eine Tätigkeit meines Lebens beschränken lasse. Es stört mich persönlich sehr, daß man sich heutigentags über seine Titel oder Berufsbezeichnungen definieren und präsentieren muß. Da zählt nicht mehr die Person, sondern die Arbeitsstelle sagt wer ich bin. Wo es eine solche nicht gibt, werden stolz welche erfunden: „Ich bin Hausfrau und Mutter!“ Das sind keine Berufe und es wäre tragisch, sollten sie jemals zu welchen werden. Das sind Leidenschaften und Lebenswege, die man wählte. Weder besser noch schlechter als der Lebensweg des Karrieresuchenden. Derlei Aussagen zeigen aber deutlich, daß man sich in der Verlegenheit fühlt, mit Etiketten auftrumpfen zu müssen, um den anderen, Berufstätigen, nicht nachzustehen. Ich finde solche Entwicklung äußerst bedenklich und steige bewußt aus, indem ich keinen Beruf auf meine Visitenkarten setze, seien dies meine homepage oder meine Programmhefte.
Mai 9 2014; © Lukas Weerth