Wednesday 8 July 2015

Musikstudenten besprechen eine muïetische Aufführung; Daniel H. (Mai 2015)


Über die Bedeutung von Musik

“Die Erziehung zur Musik ist von höchster Wichtigkeit, weil Rhythmus und Harmonie machtvoll in das Innerste der Seele dringen.” (Platon, griechischer Philosoph, 427-437 v.Chr.)

Sucht man im Internet mit den Schlagworten “Musik” und “Bedeutung”, zeigt sich, dass die Bedeutung von Musik für bestimmte Bereiche unseres Lebens von großer Wichtigkeit zu sein scheint. Als Beispiele finden sich Aufsätze zur Bedeutung von Musik für die frühkindliche Erziehung, den Menschen als Wesen, ihrer Bedeutung in verschiedenen Kulturen oder für den Glauben. Kurz: Die Bedeutung der Musik wird immer in Bezug auf unser alltägliches Leben betrachtet. Gehen wir davon aus, dass Musik immer eine Bedeutung hat, sind Musik und Bedeutung auch immer voneinander abhängig. Wird Musik beispielsweise nur als Teil der frühkindlichen Erziehung gesehen, wird sich ihre Bedeutung auch darauf beschränken. Daraus ergibt sich wiederum, dass wir so offen wie möglich sein müssen, der Musik Platz in unserem Leben einzuräumen. Nur dann, wenn wir sie nicht einschränken, können wir ihre volle Bedeutung erfassen.
Über die Absolutheit der Musik als Kunstform muss nicht diskutiert werden: Musik an sich ist immer absolut, ob sie so auch wahrgenommen wird, hängt von ihrem Gebrauch ab: Programmmusik (Musik als Teil eines außermusikalischen Programms) oder absolute Musik (Musik ohne Programm). Aber ist die Musik auch absolut als Sache an sich, unabhängig vom Komponisten?

Die meisten Musiktheoretiker gehen davon aus, dass Musik nur Musik ist, wenn sie absichtlich von Menschen als solche gemacht wird. Abgesehen von Ausnahmen wie dem gedankenverlorenen Vor-sich-hin-pfeifen, wird Musik meistens auch für Menschen, Publikum, gemacht. Damit steht fast jede Musik in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext und hat einen konkreten Zweck. Sie wird zu einer bestimmten Zeit (innerhalb der Geschichte) gemacht bzw. geschrieben und orientiert sich an bestimmten Vorbildern (Traditionslinien innerhalb der Musik).”[i]

Die Bedeutung der Musik wäre damit nicht unabhängig vom Menschen, wobei hier angemerkt sei, dass die musikalischen Vorbilder nicht immer gegeben sind.“Schließlich haben avantgardistische Komponisten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz bewusst die Grenzen dessen, was Musik ist, gesprengt.”
Aber wird Musik von allen Menschen verstanden, bzw. gibt es verschiedene Bedeutungen?

“Musik weckt ähnliche Gefühle über Kulturgrenzen hinweg, ihre Bedeutung kann jedoch unterschiedlich wahrgenommen werden.”[ii]

Musik hat immer eine Bedeutung. Aber es muss nicht für jeden Menschen zwangsläufig dieselbe sein. Sie scheint jedoch immer Bezug zum kulturellen Kontext nicht der Musik sondern der Menschen die diese erleben.

zum Konzert Sing, Vogel meiner Seele, sing! von Heloise Ph. Palmer

Gerade weil unsere Hörgewohnheiten, der kulturelle Kontext mit dem wir vertraut sind, unsere Wahrnehmung von Musik beeinflussen, war es ein spannendes Erlebnis, Musik aus einem ganz anderen Teil der Welt in einem muietischen Konzert dargeboten zu bekommen. Die Künstlerin hat bewusst den Nahostkonflikt als Thema gewählt, gebrauchte Musik aus einer bestimmten Kultur, die uns zunächst fremd ist. Allerdings lässt sich die Bedeutung von Sing, Vogel meiner Seele, sing!  nicht allein auf diese Kultur reduzieren. Es geht Heloise Palmer darum, den Fokus auf unseren Umgang miteinander zu legen.

“This war happens in us, and all around us. It doesn´t need to be related to the Middle East; we´re all faced with the same brutality and stubbornness in our daily lives.”[iii]

Es gibt also zwei Bedeutungsebenen: Eine kulturelle, die räumlich wie zeitlich gebunden ist und eine universelle, die gleichzeitig eine persönliche ist. Mir hat zunächst der sparsame Einsatz von Licht, und die Videoprojektion geholfen, mich gedanklich von der Fixierung auf den Nahen Osten zu lösen und Elemente wie die Einspielung der Hymnen der verfeindeten Länder oder der Gebrauch eines Schellenkranzes dennoch geholfen, das Werk einordnen zu können. Es schwebt nicht abstrakt im Raum und hat nichts zu sagen weil es alles sagen könnte, sondern lässt sich verorten, was mir einen Bezug ermöglicht.

Die Musik steht klar erkennbar im Vordergrund des Programms ohne von anderen Elementen überdeckt zu werden, eine Bestätigung der Autonomie der Musik gegenüber anderen Künsten. Besonders gefallen hat mir, dass gesprochener Text mit der Musik kontrastiert, da es sich hierbei beides Mal um Kunst handelt, die ausschließlich in der Zeit erlebbar ist. Andere Formen wie beispielsweise das Gestalten der Bühne mit Farben, wie beispielsweise die Abdeckung des Toy Pianos, tritt vergleichsweise zurück, die Raumkunst unterstützt die Zeitkunst. Sonst bestünde eventuell die Gefahr der Ablenkung durch statisch-visuelle Eindrücke.
Auch die Bildprojektion arbeitet mit einfachen Mitteln: einem weißen Kreis auf schwarzem Grund. Das Toy Piano symbolisiert das unschuldige Kind. Faszinierend fand ich, dass die Musikstücke auf den ersten Blick “nur” gespielt werden, ohne großes Aufhebens, und dennoch ist jedes Detail auf der Bühne durchdacht. Das macht die Konzerterfahrung sehr intensiv.

Meiner Meinung nach hat es die Künstlerin geschafft, Mittel zu finden, die die Bedeutung der Musik unterstützen statt Erklärfunktionen zu übernehmen, nur dann lässt sich ihr Einsatz rechtfertigen. Denn Musik muss immer für sich selbst sprechen können, sonst wäre sie nicht autonom. Und: Es muss genügend Raum für den Zuhörer geben, sich selbst ein Bild zu machen. Die Verantwortung des Künstlers liegt auch darin, seinem Publikum einen (von vielen) Zugang zu ermöglichen und zu vermeiden, es zu bevormunden.

Mai 2015; Daniel Hägele (Schulmusik)





[iii] Heloise Palmer in Conversations; J. Palmer, S. 190, Vision Edition, 2015