Friday 3 July 2015

Musikstudenten besprechen eine muïetische Aufführung; Till B. (Mai 2015)


Inwiefern kann die Wahrnehmung der Bedeutung eines musikalischen Werkes
durch andere künstlerische Mittel unterstützt werden?

-i- Musik und Bedeutung

Man stelle sich folgende bekannte Situation vor: ein Musiker betritt die Bühne und spielt sein Konzert. Man selbst sitzt im Zuschauerraum und lauscht der Musik und nach ein, zwei Stunden ist alles vorbei. Applaus. Der Zuhörer ist nun vielleicht beschwingt, bewegt oder auch verstört von der Musik, doch bringt Musik, ihre Wahrnehmung und Darbietung nicht noch eine höhere Ebene von Bedeutung zur Geltung als emotionale Reaktionen? Und inwiefern kann die Wahrnehmung der Bedeutung eines musikalischen Werkes durch andere künstlerische Mittel unterstützt werden?

Musik ist eine Sprache, die man in der ganzen Welt versteht - diese Weisheit war schon den Komponisten des 18. Jahrhunderts bekannt. Doch um an die innere Substanz eines Werkes zu kommen, den eigentlichen Kern der Bedeutung, braucht es je nach Rezipienten und dessen soziokulturellem Umfeld auch andere künstlerische Impulse wie schon die amerikanische Musikwissenschaftlerin Jenefer Robinson erkannte. Geht man jedoch von der zentraleuropäischen Musikauffassung Ende des 19. Jahrhunderts aus, erkennt man schnell die unterschiedlichen Bereiche. So war um 1900 das Ideal der Musik, die aus sich selbst heraus absolut wirkt (= absolute Musik), von dem Musikkritiker Eduard Hanslick geprägt. Jedoch schon dieser hatte mit Richard Wagners Ästhetik eines in sich wirkenden Gesamtkunstwerkes, welches viele andere künstlerische Mittel wie Text und Theater beinhaltet, einen starken Gegenpart. Der Musikphilosoph Leonard Meyer fasste die unterschiedlichen Positionen der Ästhetik in seinem umfangreichen Buch Emotion and Meaning in Music
passend zusammen. Meyer nennt dabei zwei kontrastierende Dichotomien: Der Absolutist versus den Referentialisten, sowie der Formalist versus den Expressionist. Der Absolutist steht dabei ganz in der Tradition Hanslicks, für ihn liegt die Bedeutung der Musik gänzlich in ihrem eigenen Kontext - es braucht keiner weiteren Ebene. Der Referentialist erkennt jedoch in der Musik Zeichen zu einer außermusikalischen Welt aus Charakteren und Emotionen. Bei dem zweiten Paar verhält es sich ähnlich, der Formalist sieht die Bedeutung im Wahrnehmen und Verstehen der musikalischen Verhältnisse in der dargelegten Kunst. Der Expressionist währenddessen erkennt in denselben Verhältnissen Auslöser für Emotionen und Gefühle, also eben keine intellektuelle Ebene. Nach Meyer ist die beste Position ein Kompromiss aus jeweils beidem: die Wahrnehmung von Musik ist sowohl intellektuell als auch emotional. Die Wahrnehmung der Musik kann jedoch um deren Bedeutung willen verstärkt werden, z.B. mit anderen künstlerischen Mittel.

Ein Konzept in dieser Richtung ist das Muietische Konzert. Hierbei wird die eine verstärkte Wahrnehmungsreifung bei dem Ausübenden und dem Musikempfangenden erzielt, wie die muietische Künstlerin Heloise Ph. Palmer in einem Interview erläutert. Indem Werke in einen neuen Kontext gestellt werden und damit thematisch neu verknüpft sind, lassen diese sich vom Wahrnehmenden sensibler und intensiver erfassen. So kommen hier auch Elemente aus Poesie, Malerei oder Theater zum Ausdruck und verhelfen dabei der Musik ihren Bedeutungsgrad besonderes hervorzustellen. Musik kann hier mehr als nur emotionale Reaktionen hervorrufen wie Freude, Trauer, Schmerz oder Liebe. Die Bedeutung der Musik fasst dabei auch in die Tiefen von philosophischen und politischen Betrachtungen wie etwa der nahe Osten.

-ii- zum Konzert: Sing, Vogel meiner Seele, sing!
von Heloise Ph. Palmer, 27. April 2015

Am 27. April 2015 gab die Pianistin und muietische Künstlerin Heloise Ph. Palmer im Kammermusiksaal der Musikhochschule  in Stuttgart einen muietischen Konzertabend zur Aufführung. Wie auch schon bei dem eindrucksvollen muietischen Programm „The Righteous Fatal“, welches im letzten Jahr am selben Ort aufgeführt wurde, hatte der Abend einen thematischen Überbegriff: Das Verhältnis Ägyptens und Israels, die im Konflikt stehenden Nachbarstaaten, wurde mit Klangeindrücken aus den jeweiligen Ländern dargestellt. Dabei war schnell zu erkennen, dass als formale Grundidee Bertold Brechts Theaterstück Der kaukasische Kreidekreis Pate stand. So beschreibt Heloise Ph. Palmer in ihrer der Musik angefügten Prosa zwei Mütter, welche sich um ein Kind (in diesem Falle Palästina) streiten. Der muietische Konzertabend selbst gleicht fast dem Aufbau eines klassischen Dramas, denn so ist ein klarer Aufbau zu einer Klimax, dem Klavierstück Midnight doesn’t BE (aus John Palmers Musica Reservata) zu erkennen. Danach ist wieder ein Sinken der inneren Spannung zu merken. Heloise Ph. Palmer erzählt mit ihrer Prosa dabei wie schon erwähnt die Geschichte zweier Mütter um ein Kind. Bevor die ersten Klaviertöne des Konzertes erklingen taucht sich der Saal erst in tiefes Dunkel. Die Künstlerin betritt die Bühne und schlägt ein Buch auf.

Nun wird der Text Vogel meiner Seele (Heloise Ph. Palmer) rezitiert, wobei die hervorragend artikulierende Stimme von Thomas Grießbach den perfekten erzählerischen Rahmen bietet. Es folgt Max Brods Klavierwerk „Galilée“, eine musikalische Rarität des sonst eher als Literat bekannten Intellektuellen. Die jugendliche Frische, das kindlich Naive werden in dem in spätromantischer Tradition komponierten Werk spürbar. Hier wird schon der besondere Reiz des muietischen Konzeptes deutlich: Durch die Prosa werden in dem Werk besondere Bedeutungsebenen beleuchtet, bzw. hervorgehoben ohne dabei sich als wertend oder wie eine vorgezogene Stellungnahme zu dem Stück an sich zu verstehen. Dies wurde auch in der Ge-sprächsrunde nach dem Konzert deutlich, in der Frau Palmer verdeutlichte, wie das muietische Konzept sowohl Rezipienten als auch  Interpreten erlaubt, auf eine tiefere Wahrnehmungsebene zu gelangen.

Der Konflikt der beiden Länder stellt sich schließlich in dramatischer Weise in ihrem Werk „Im Kreidekreis“ dar. Erst erklingen einzeln die Hymnen Ägyptens und Israels, welche sich schließlich mehr und mehr überlagern. Unterbrochen wird diese Musik von einem grellen Babylachen. Hier wirkt der Konflikt der Mütter spürbar nah, die Dichte der überlagernden Hymnen kreiert bei dem Zuhörer eine innere Bedrängnis. Das folgende Werk Midnight doesn’t BE
(John Palmer) ist der schon erwähnte Klimax des Konzertes. Es passt so genau in die Dramaturgie, da der beschriebene Punkt zwischen 24 und 0 Uhr nicht existiert, und genau so auch der Frieden zwischen den „Mutterstaaten“ nicht erreicht wird. Die unterschiedlichen Ideologien spielen sich gegeneinander aus. So wird die Botschaft der Künstlerin, welche hiermit der Musik auch klar eine politische Bedeutung zukommen lässt, wenn sie auf der Blockflöte das Lied „Ein Tännlein schlief zur Winternacht“ intoniert. Der Friede muss von den Menschen selbst geschaffen werden. Schumanns „Ge-sänge der Frühe“ steht am Ende. Ein Morgen ist wie eine Rekreation, alles scheint in ihm erreichbar zu sein.

Mai 2015; Till Breitkreutz (Viola)