Friday, 3 July 2015

Musikstudenten besprechen eine muïetische Aufführung; Xenia B. (Mai 2015)


Inwiefern kann die Wahrnehmung der Bedeutung eines musikalischen Werkes
durch andere künstlerische Mittel unterstützt werden? 

-I- allgemeine Betrachtung

Dem Künstler, also- in unserem Fall- dem Musiker ist es stets selbst überlassen, wie er seine Musik, die Interpretation dieser und die Bedeutung, die er ihr gibt, seinem Publikum nahe bringen möchte. Normalerweise entscheidet er sich allein für die Musik und möchte seine Zuhörer mit nichts Übrigem vom Eigentlichen ablenken. Das heißt, er ist klassisch schwarz angezogen, er geht ruhig auf die Bühne, auf welc-her er seine Interpretation des Musikstückes am Instrument präsentiert, er verbeugt sich, und verschwindet wieder. Damit hat er die Musik so ausschließlich präsentiert, dass der Zuhörer, der also hauptsächlich akustische, musikalische Eindrücke erfahren hat, eben solche in seinen eigenen, ihm logisch erscheinenden oder emtional verständlichen Zusammenhang stellt. So wäre es auch zu einem großen Prozentsatz dem Publikum überlassen, der Musik eine Bedeutung zu geben. Während der Musiker auf der Bühne also ein Musikstück wie oben genannt präsentiert, stellt sich Zuhörer A das sonnige Panorama einer Bergwanderung vor, das Stück löst in Zuhörer B Langeweile und Unverständnis aus, wobei Zuschauer C es doch mit seiner verstorbenen Großtante verbindet, die es Tag und Nacht hörte.

Die Alternative zu beschriebener Aufführungspraxis ist das Erschaffen eines Gesamtkunstwerkes, indem man die Musik in einen bestimmten Zusammenhang stellt, der durch andere künstlerische Mittel unterstrichen und ergänzt wird. So hat der Musiker- oder dann der Künstler- die Möglichkeit, dem Publikum ein umfassendes Bild seiner Vorstellung zu verschaffen, indem er beispielsweise Poesie, Epik oder Darstellen-de Kunst einbezieht, und damit nicht ausschließlich den Hörsinn seines Publikums beschäftigt. Jetzt wird also die Auffassung der Musik nicht festgelegt, aber in eine bestimmte Richtung gelenkt, was den Zuhörern, die vielleicht eigentlich wenig mit dem Stück anfangen können, ermöglicht, dieses durch zusätzliche visuelle oder sprachliche Eindrücke einzuordnen oder zu verstehen. Erfahrenen Zuhörern (z.B. guten Musikern) kann dieses Gesamtkunstwerk, wenn es denn eins ist und nicht eine wilde, ungeordnete Zusammenstellung verschiedener Künste, ein anderes, eventuell neues und aufmerksameres Hören näher brin-gen.
Das Risiko oder die Herausforderung für den Künstler auf der Bühne ist allerdings hier ein(e) viel größere(s). Dadurch, dass er diesen roten Faden seines Gesamtkunstwerkes festlegt, hat er interpretatorisch viel mehr Angriffsfläche als jemand, der nur die Musik präsentiert. Da die Bedeutung und Wahrnehmung von Musik und Kunst noch viel subjektiver ist, als das bloße Hören von Klängen, kann die Gefahr sein, dass das Publikum das Werk des Musikers nicht nachvollziehen kann, den Zusammenhang zwischen Musik und dem Übrigen nicht versteht oder es als starke Ablenkung empfindet und sich in seiner Wahrnehmung zu beeinflusst oder sogar bevormundet fühlt.

-II- zum Konzert von Heloise Ph. Palmer

Der Besuch des Konzertes der Pianistin Heloise Ph. Palmer schuf neue Erkenntnisse über die beschriebene Aufführungspraxis. H. Palmer prägt schon lange eine bestimmte Form von musikalischem Gesamtkunstwerk, welches unter dem Namen 'muiesis' (musik, gr.: poiesis) bekannt ist. „Sing, Vogel meiner Seele, sing!“ unter dem Thema Frieden ist ein Konzert neben anderen Konzerten zu verschiedenen Themen in der Muiesis-Reihe.

Das weit über das Musikalische hinausgehende Konzert beginnt mit dem stillen Auftritt von H. Palmer, die sich an ein Rednerpult, das sich neben einem Flügel, einer Leinwand und einem Toy Piano auf der Bühne befindet, stellt. Entgegen aller Erwartung hört das Publikum eine eingespielte Männerstimme, die anfängt, die Geschichte vom Kind im Kreidekreis (vgl: 'der kaukasische Kreidekreis', B. Brecht), formuliert von der Künstlerin, zu erzählen. Dazu werden jeweils ein paar Worte des Gesagten an die Leinwand geworfen. Die Musikerin geht ans Klavier und spielt Werke von israelischen und ägyptischen Komponisten, da es ihr, wie wir später erfahren, besonders um diesen Krieg geht, wobei sie Palästina mit dem Kind in der Mitte des Kreidekreises verbindet. Auf der Leinwand sieht man im Laufe des Konzerts zuerst einen halben, dann einen ganzen weißen Kreis, die Künstlerin spielt außerdem Blockflöte und Toy Piano. Desweiteren verwendet H. Palmer für ihren muietischen Auftritt digital gemischte Musikfragmente, die über einen Lautsprecher eingespielt werden.
Diese völlig andere Herangehensweise an die Musik schafft eine neue Atmosphäre, fast wie in einem Film, wodurch man das Gefühl hat, sich fallen lassen zu können und sich auf weitere, andere Bedeutungen der Musik einzulassen. H. Palmer sagt, in ihren Aufführungen soll die Musik auf keinen Fall nur als Mittel oder als Umspielung des Zwecks und der sachlichen Aussage wahrgenommen werden. Sie fühlt sich als Musikerin und schafft es, durch ihre Musik dem Hörer Dinge mit auf den Weg zu geben, die man bei einem klassisch aufgeführten Konzert nicht erfahren würde.

Ein einfaches Beispiel dafür ist ihre Improvisation am Klavier über beide Frauen, die an dem Kind zerren. Ohne diesen Zusammenhang von Musik und ihrer Bedeutung und der damit verbundenen bildlichen Vorstellung in den Köpfen der Zuhörer wäre die Aussage dieses Stückes nicht voll ausgeschöpft. In diesem Konzert erfuhr man also eine Wechselwirkung, in welcher einerseits die sachlichen Inhalte durch die Musik veranschaulicht und verstärkt werden und andererseits vervollständigt der Zusammenhang auch die Musik und gibt ihr Bedeutung. Die Musikerin möchte ihr Publikum zum genaueren, aufmerksameren Zuhören bewegen, um sie damit auch an modernere, unbekannte Musik heranzuführen. Das schafft sie beispielsweise, indem sie den Höhepunkt des Konzertes besonders hervorhebt, weil sie ihre Musik durch einen Lautsprecher erklingen lässt, anstatt sie wie bisher, live zu spielen. Der Zuhörer wird von dem ungewöhnlichen Mittel wieder aus seinen alten Gedanken gerissen und versucht hinter dem neuen Medium einen Sinn zu entdecken, er hört also wahrscheinlich wacher zu als bei einem klassischen Klavierrezital, bei dem auch das Klangmedium festgelegt ist.

Grundsätzlich lässt sich also sagen, dass Muiesis- oder allgemeiner- die Aufführung von musikalisch fokussierten Gesamtkunstwerken der Musik eine (neue) Bedeutung gibt, die es dem Künstler trotz großem Aufwand im Endeffekt erleichtert, was er der Welt mitteilen oder dem Publikum zeigen möchte. Obwohl ein Musikstück allein durch die Interpretation des Künstlers auch aussagekräftig sein kann, kann man mit weiteren künstlerischen Mitteln noch mehr Inhalt aus der Musik schöpfen und ihr einen Zusammenhang geben.

Mai 2015; Xenia Bömcke (Kontrabass)