Friday, 2 December 2016

"frei zu sein. Ein Dialog"; der Dialog zwischen Orfëa und ihrem Alter Ego, © Heloise Palmer

Aufruf der Höheren
Descende, Orfëa, fortunam tuam tempta! visne redire in lucem? ne verteris.
Steige hinab, Orfëa, versuche heute Dein Glück - willst Du ins Licht zurück, so wende Dich nicht um...

Stimme aus Vielen
Wilde Tiere zähmend, Verstorbene zurück ins Leben führend: Orfëa! Gottgesandte, allliebend, Engel: Orfëa!

Orfëa: „Mein Tun ist weder wunderhaft noch bin ich zauberwirkend.
Die Magie ist keine, doch wage ich, denkend und mit Taten, das Unvertraute.“

***

Orfëa: „Leben macht frei!“


ihr Alter Ego: Doch auch das Tier lebt, auch die Pflanze. Dennoch ist der Mensch ungebundener: kann Speise, Wohnraum, Körperbedeckung frei wählen, entscheiden, wann und ob er sich paaren und fortpflanzen möchte. Auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wählt er selbst, bekennt sich zu Veränderung, wünscht sie sogar.

die Höheren:
ne timueris fluctus; sine eis esses ubi?
Fürchte nicht Vergänglichkeit. Ohne sie, wo wärest Du?


Orfëas Alter Ego: Das allein macht den Menschen nicht frei, es stellt nur eine Höherentwicklung dar,
auch das Tier könnte einst dahin finden. Entscheidend ist Bewußtheit.

Orfëa: „Was ist Bewußtheit? Wie drückt sie sich aus?“


ihr Alter Ego: Geschenke machen, zu helfen, ein Geheimnis - darin zeichnet sich Mensch-Sein aus: Namentlich in der Freiheit, etwas um seiner selbst willen zu tun, ohne anderes zu bezwecken. Freiheit macht menschlich. Wir aber leben Schemata. Uns verlangt nach Sicherheit, die wir durch Routine, Gewohnheiten, Denkmuster und (Vor-)Urteile erschaffen und zu erhalten suchen. Fortan sind wir unfrei, Gefangene unserer Annahmen sehen wir unsere Umgebung durch die Augen einmal angenommener Vorstellungen. -


Erst recht im menschlichen Miteinander: Das Greifen nach uns bekannten Verhaltensmustern, wir nennen es Erwartungen oder Erfahrung. Sie sind weder unumstößliche Gegebenheiten noch bescheren sie uns mehr Freiheit, versklaven uns vielmehr; je besser wir den Menschen entsprechend unserer Gedankenmuster zu kennen meinen, desto weniger nehmen wir von ihm wahr.

Orfëa: „Die Freiheit ist ein Spiel. Gewinnen - verlieren, gewinnen - verlieren. Nimmt man sie zu ernst, ist sie vorüber.“


ihr Alter Ego: Wie bewußt leben Sie? Sie möchten außer Haus gehen, brauchen Geld. Wonach werden Sie suchen?
Nach Ihrer Börse oder nach dem Ort, woselbst Sie das Portemonnaie zuletzt hingelegt haben?
Was nun, wenn dasselbe sich nicht dort befindet, wo Sie es vermuten?

Orfëa: „Bewußtheit zeigt sich in der Frage: Ich frage, also lebe ich.“ -

***

Orfëa: „Was bedeutet Leben für Sie? Das, was ist, oder das, wie es sein sollte?“

die Höheren:
vera libertas non est. vivis. ac vitam vivere liberat.
Oculos aut allevare aut recondere potes; sortem tenes.
aut vigilare aut dormire potes; sortem tenes. aut credere aut scire potes; sortem tenes.
Es gibt sie nicht, die eine
Freiheit. Du bist am Leben. Und leben macht frei.
Du kannst Dein Auge öffnen oder schließen, Du hast die Wahl.
Du kannst wachen oder schlafen, Du hast die Wahl.
Du kannst glauben oder kennen. Du hast die Wahl. 



Orfëas Alter Ego: Leben heißt fragen. Fragen ist suchen. Suchen befreit.
Der niemals gestillte DURST, der uns antreibt, immer neu, hier und jetzt, unendlich oft. -

***



ihr Alter Ego: Frei ist der Mensch, welcher sich mit anderen verbindet. Das Individuelle trennt, setzt ihn der Unsicherheit aus. Dem Unvorhersehbaren. Letztlich dem Unbezwingbaren, denn alle Trennung ist Kampf. Das Bewußtsein der Verbundenheit aller Lebewesen jedoch befreit den Menschen, ermöglicht das Eintauchen und Innewerden des Undenkbaren.
Vergiß die Illusion des Scheidenden. Gedenke dessen, was verbindet:

die Höheren:
 memento lacrimas - memora risum
Gedenke der Tränen, erinnere das Lachen.